Der Gerechte aus Fulda – Einsatz im Unterricht
(Filmlänge: 37:30 Min.)
Einsatz des Films im Unterricht:
Mit einer Laufzeit von 37 Minuten kann der Film in einer Unterrichtsstunde gezeigt werden. Die folgenden Fragestellungen können genutzt werden, um mit den Schüler*innen über die Inhalte und das Thema des Films zu sprechen. Die Fragen wurden in vier Ebenen geteilt:
A) Allgemein B) Die Tischdecken C) Novemberpogrom 1938 D) Transfer heute
Je nach investierter Zeit kann eine oder allen vier Ebenen mit den Schüler*innen behandelt werden. Dabei können pro Unterrichtseinheit (45 Min.) ca. 3 bis 4 Fragestellungen bearbeitet werden – je nach geplanter und möglicher Tiefe der Bearbeitung. Die methodische Umsetzung ist sowohl als Austausch im Plenum wie auch in Kleingruppenarbeit möglich. Als Ergänzung kann das Thema als weiterführende Projektarbeit mit einer Klasse oder Schüler*innengruppe mit verschiedenen Aspekten bearbeitet werden. Dazu werden Vorschläge aufgeführt.
1 Filmgespräch
Anschließendes Gespräch mit den Schüler*innen mit den Fragestellungen:
Inhalte des Films:
1.1 Allgemein
- Klären von Verständnisfragen.
- Was war neu für euch?
Was ist Besonderes bei euch „hängen“ geblieben?
2. Die Tischdecken
- Wofür stehen die Tischdecken?
- Warum wollte Frau Schuhej die Tischdecken zurückgeben?
- Warum ist die Familie Bensinger deswegen nach Fulda gekommen?
- Ist die Rückgabe der Tischdecken eine Wiedergutmachung? (Mit Begründung)
2.3. Novemberpogrom 1938
- Was war neu für euch?
- Wer waren die Täter*innen und aus welcher Motivation haben sie gehandelt?
- Wer waren zwei der Opfer und beschreiben Sie ihre Erfahrungen und Gefühle?
- Welche Maßnahmen hat ein Mann ergriffen, die ihn von den Tätern und den Umstehenden unterscheiden?
- Was waren die Vorzeichen und die Vorstufen des Pogroms bzw. des Holokaust?
2.4. Transfer heute
- Kennt Ihr ehemalige jüdische Geschäfte in eurer Stadt? (ggf.: „warum nicht?“)
- Was geschah mit den Besitztümern – Häuser, Möbel, Bilder, Haustiere, Gegenstände, etc. – der jüdischen Familien? Und wo sind sie heute?
- Kann etwas Ähnliches heute nochmal passieren? Was wären Anzeichen dafür? (ggf. Mögliche Handlungsoptionen auf der Ebene Schüler*innen und der Ebene Schule)
2. Projektarbeit
Mögliche Weiterbearbeitung des Themas auf die jeweilige Stadt bezogen:
- Was für jüdische Geschäfte gab es
- Wo steht/stand die Synagoge, der Friedhof oder die jüdische Gemeinde?
- Gibt es Gedenkorte oder Erinnerungsorte?
- Gibt es ähnliche Geschichten von „Gerechten“?
- Suche nach Biografien von jüdischen Personen/Familien.
3. Ressourcen für Lehrer und Schüler
- bpb: TuM “Die inszenierte Empörung. Der 9. November 1938”, Kapitel 4
- Hitlers Politik gegen die Juden in Deutschland | Nationalsozialismus | Geschichte – YouTube
- Gerechte unter den Völkern: The Righteous Among the Nations Database (yadvashem.org)
- Workshop: Gerechte unter den Völkern (yadvashem.org)
- Gerechte unter den Völkern: Frauen retten während des Holocaust Juden (yadvashem.org)
- Suche in Dokumenten der Arolsen Archives (arolsen-archives.org)
Eine Einführung in die Pogromnacht
Eine Reihe von Historikern betrachtet die Pogromnacht vom 9. und 10. November 1938 als den Beginn des Holocaust.
– 30.000 Juden wurden zusammengetrieben und in Konzentrationslager gebracht;
– 7.500 jüdische Geschäfte wurden zerschlagen und geplündert;
– 267 Synagogen brannten bis auf die Grundmauern nieder und viele andere wurden angegriffen und beschädigt;
– 100 Juden wurden ermordet und unzählige andere verprügelt; es gab einige jüdische Selbstmorde;
– viele jüdische Einrichtungen wurden mutwillig zerstört.
Diese von den Nazis geförderten Angriffe in der Pogromnacht, der Nacht der zerbrochenen Scheiben, fanden in ganz Deutschland, Österreich und dem Sudetenland statt, und zwar vor den Augen der Nachbarn der jüdischen Opfer, die meist tatenlos zusahen. Auch wenn es Fälle von mutiger Unterstützung gab, beendete die Pogromnacht die Möglichkeit einer lebensfähigen jüdischen Existenz im Dritten Reich.
Der deutsche Vorwand für die Anschläge der Pogromnacht war die spontane Reaktion auf die Erschießung eines deutschen Diplomaten in Paris am 7. November 1938 durch den 17-jährigen Herschel Grynszpan. Doch die Pogromnacht war eine geplante und koordinierte Aktion. Sie sollte die noch im Nazireich verbliebenen Juden in Angst und Schrecken versetzen, damit sie das Land verlassen. Das Problem war, dass viele von ihnen nirgendwohin gehen konnten.
Am 28. Oktober 1938 deportierten die Nazis 17.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder mit polnischer Staatsangehörigkeit aus Deutschland. Unter ihnen waren auch die Eltern von Herschel Grynszpan, der seit 1911 in Deutschland lebte. Die Juden wurden ohne Vorwarnung und mit großer Brutalität aus dem Land geworfen, und die meisten von ihnen wurden in der Nähe der polnisch-deutschen Grenzstadt Zbasyn ohne ausreichende Nahrung, Wasser und Unterkunft zurückgelassen. Sie konnten nicht nach Polen einreisen, da die polnische Regierung zuvor den im Ausland lebenden polnischen Juden die Rückkehr verboten hatte.
Als Herschel, der bei seiner Tante und seinem Onkel in Paris lebte, erfuhr, was mit seinen Eltern geschehen war, ging er zur deutschen Botschaft in Paris und erschoss den Diplomaten Ernst vom Rath.
In seiner Tasche wurde eine Postkarte an seine Eltern gefunden. Sie lautete: “Mit Gottes Hilfe. Meine lieben Eltern, ich konnte nicht anders, Gott möge mir verzeihen, das Herz blutet mir, wenn ich von eurer Tragödie höre… Ich muss protestieren, damit die ganze Welt meinen Protest hört, und das werde ich tun. Verzeiht mir.”
Vom Rath stirbt zwei Tage später, am Nachmittag des 9. November. An diesem Abend erhielt Joseph Goebbels, Hitlers Propagandaminister und fanatischer Nazi, von Hitler die Erlaubnis, ein Pogrom gegen die jüdischen Gemeinden in Deutschland, Österreich und dem von Deutschland besetzten Sudetenland, einem früheren Teil der Tschechoslowakei, zu veranstalten. In der Öffentlichkeit behauptete die Nazi-Propagandamaschinerie, es handele sich um einen spontanen Aufstand des deutschen Volkes als Rache für die Ermordung vom Raths. In dieser Nacht setzten randalierende Nazi-Sturmtruppen, SS-Männer, Parteimitglieder und andere Personen Synagogen in Brand. Die Feuerwehren sahen tatenlos zu, wie die Synagogen brannten. Erst als die Flammen auf “arisches” Eigentum überzugreifen drohten, griffen sie ein.
Mehrere hundert Synagogen wurden zerstört oder schwer beschädigt, ebenso wie Thora-Rollen, Gebetsbücher und Bibeln. Die Angreifer plünderten und zerstörten etwa 7.500 jüdische Geschäfte. Viele jüdische Häuser, Schulen, Waisenhäuser, Krankenhäuser und Friedhöfe wurden verwüstet, und 30.000 jüdische Männer wurden in Konzentrationslager geworfen. Dort wurden sie misshandelt und erniedrigt.
Nach der Pogromnacht wurden die Juden vollständig aus der deutschen Wirtschaft verdrängt. Sie wurden gezwungen, ihre Geschäfte und ihre Wertgegenstände zu einem Bruchteil ihres Wertes zu verkaufen. Jüdische Kinder, die in deutschen Schulen verblieben waren, wurden von der Schule verwiesen. Juden wurde der Zutritt zu allen öffentlichen Plätzen untersagt. Jüdische Organisationen wurden aufgelöst oder ihrer Autonomie beraubt. Die Nazis beschleunigten die Zwangsmaßnahmen zur Förderung der Auswanderung.
Die jüdische Gemeinde wurde zu einer Geldstrafe von einer Milliarde Reichsmark als “Wiedergutmachung” für die Ermordung vom Rath verurteilt, und die Regierung beschlagnahmte die Erlöse aus allen Versicherungsansprüchen, die an Juden für die Schäden an ihren Häusern und Geschäften gezahlt wurden. Hermann Göring, Hitlers damaliger Stellvertreter, erklärte: “Ich möchte kein Jude in Deutschland sein.”
Die in den Konzentrationslagern inhaftierten Juden wurden freigelassen, wenn sie nachweisen konnten, dass sie ein gültiges Visum für ein anderes Land besaßen. Schnell wurde die Suche nach einem Zufluchtsort verzweifelt, aber die Türen waren für die Juden Mitteleuropas überall verschlossen. Bis zu 1.000 von ihnen starben in den Konzentrationslagern an Misshandlungen, Unterernährung, mangelnden sanitären Einrichtungen, Krankheiten, bitterer Kälte und Verzweiflung.
Die öffentliche Meinung in Deutschland billigte im Allgemeinen nicht die Exzesse der Pogromnacht, die die Menschen mit Gewalt und Brutalität konfrontierte. Daraus lernte die NS-Regierung, Angriffe auf Juden und andere “Reichsfeinde” sorgfältiger zu planen und heimlicher durchzuführen. In Deutschland gab es jedoch nur wenige, die das Geschehene offen verurteilten. Die deutschen Kirchen schwiegen weitgehend.
Die westlichen Mächte zeigten sich schockiert und bestürzt, aber es gab kaum oder keine Vergeltungsmaßnahmen. In der amerikanischen Presse wurde das Pogrom auf breiter Front verurteilt, und Präsident Roosevelt berief den amerikanischen Botschafter in Deutschland zurück und ordnete an, die bestehenden Flüchtlingsquoten zu erfüllen. Aber an Politik und Einstellung änderte sich nichts Grundlegendes.
Im Gefolge der Pogromnacht geriet die nationalsozialistische Judenpolitik mehr und mehr unter die Kontrolle der SS, die zum wichtigsten Instrument der nationalsozialistischen Vernichtung des europäischen Judentums werden sollte. Mit der Pogromnacht überschritten die Nazis die Grenze von der Ausgrenzung, Demütigung und vorübergehenden Enteignung der Juden zu offenem körperlichen Angriff und totaler Enteignung.
Die Explosion des nationalsozialistischen Sadismus in der Pogromnacht brachte den abgrundtiefen Hass der Nazis auf die Juden und ihre Lust an der Gewalt anschaulich zum Ausdruck. Sie wurde zum unheilvollen Vorboten des kommenden Völkermordes.